Königsberger Klopse und falsche Erwartungen
Mein Vater war gerade aus russischer Kriegsgefangenschaft heimgekehrt und saß das erste Mal wieder bei seinen Eltern am Küchentisch. Meine Oma wollte das richtig feiern und servierte ihrem ausgezehrtem und von den Erlebnissen gezeichnetem Sohn Königsberger-Klopse. Es kostete meinen Vater viel Mut, seiner Mutter zu sagen, dass er Königsberger-Klopse eigentlich überhaupt nicht mochte. Mein Opa fing an zu lachen und gestand, dass er von diesem Gericht auch nicht wirklich angetan sei. Erst mit 33 Jahren traute sich mein Vater, der als Widerständler des 20. Juli 1944, sich nicht von Gestapo-Haft und drohendes Todesurteil hatte abschrecken lassen, den vermeintlichen Erwartungen seiner Mutter zu widersprechen. Danach entspann sich ein befreiendes Gespräch, welches die falschen Erwartungen aufdeckte und in Luft auflöste.
Meine Oma war immer der Überzeugung gewesen, dass sowohl ihr Sohn, als auch ihr Mann den Anspruch hätten, dass ein festliches Mahl aus Königsberger Klopsen zu bestehen hätte. Ihre Männer dachten, sie hätte die Erwartung, dass alles, was auf den Tisch käme, auch gegessen werden müsse. Beim „Outing“ stellten sich beide Annahmen als Irrtümer heraus.
Wie gehen wir mit Erwartungen um? Ist es nicht so, dass unser Handeln oft davon geprägt ist, welche vermeintlichen Ansprüche Gott oder Mitmenschen an uns stellen?
Ich behaupte, dass keiner davon wirklich frei ist! Viele Axiome unseres Handelns sind geprägt von Aussagen, die mit: „Man sollte …!“ „ Man müsste …!“ „Ein richtiger Christ …!“ beginnen. Was aber diese Annahmen stützt, weiß eigentlich keiner so recht!
Diese Erwartungen setzen Maßstäbe, die die Gestaltung unserer Entscheidungen beeinflussen und prägen. Das ist ganz normal, bringt aber auch ungesundes und manchmal auch selbstzerstörerisches Verhalten zum Vorschein. Deswegen ist es so wichtig, sich immer wieder bewusst zu machen, welche Vorgaben unser Handeln lenken. Das macht man nicht nur einmal, sondern sollte ein lebenslanger Prozess sein.
Die Königsberger-Klopse-Geschichte meines Vaters ist da recht banal. Niemand ist zu Schaden gekommen. Leider gibt es aber auch sehr ernstzunehmende Ereignisse. Menschen geraten in handfeste Lebenskrisen, weil sie sich ständig an Maßstäben orientieren, die nicht angemessen sind. Das Burn-Out-Syndrom und Depressionen sind oft die Folge davon. Würden Sie je versuchen die Temperatur mit einem cm-Maß zu bestimmen? Das wäre absurd und genauso absurd sind eben machen Maßstäbe und Erwartungen, die wir manchmal an uns oder unseren Nächsten stellen, bzw. von denen wir meinen, sie würden an uns gestellt. Weiterhin stellt sich noch die Frage, ob wir überhaupt verpflichtet sind, diesen Vorgaben gerecht zu werden, denn auch diese Annahme könnte eine falsche Erwartung sein.
Wenn Sie 1.Korinther 13 lesen, dann werden Sie die Messlatte finden, die ganz einzig und allein Geltung hat. All unser Handeln und Sein sollte davon geprägt werden. Wenn Sie die vier Evangelien durchlesen, dann werden Sie unweigerlich feststellen, dass Jesus sich nur durch diesen Grundsatz hat leiten lassen. Weil sein oberster Anspruch die Liebe war – und zwar die Liebe, die Gott ausmacht und nicht irgendwelche verquarksten Vorstellungen davon – hat er sich nie gescheut, den Erwartungen, die an ihn gestellt wurden, zu widersprechen. Er enttäuschte seine Eltern, seine Jünger, manche Kranke, die geheilt werden wollten und den Klerus, dessen Ambitionen er immer öffentlich anprangerte. Er gab sich mit den Underdogs der Gesellschaft ab, den Unreinen und Ausgestoßenen, weil er sich von der Liebe zu diesen Menschen leiten ließ.
In Johannes 3,16 steht: „Denn Gott hat die Menschen so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn für sie hergab. Jeder, der an ihn glaubt, wird nicht zugrunde gehen, sondern das ewige Leben haben.“ Das gilt Ihnen und auch ihren Mitmenschen!
Ich will Sie ermutigen in ihrem GLAUBEN(s)LEBEN, dass richtige Maß zu finden. Das nächste Mal, wenn (vermeintliche) Erwartungen an Sie gestellt werden, dann ziehen Sie doch die Messlatte 1.Korinther 13 heran und bevor Sie wieder mal Ansprüche an Ihre Mitmenschen stellen, dann unterziehen Sie diese Bedürfnisse einer ausgehenden Prüfung mit dem „1. Korinther 13 – Zollstock.“ Denn in 1. Korinther 13,4 steht auch:
„Die Liebe eifert nicht für den eigenen Standpunkt!“
© M. Hofmann